08. Dezember 2020 | Schwerpunkt Leadership in stürmischen Zeiten
Veränderungen beginnnen im Kopf
CEO | Nordsee Holding GmbH
Es wird wohl keinen unter uns allen geben, der sich nicht das Jahresende und Silvester sehnlichst herbeiwünscht. Wird danach wieder alles sein wie vorher? Ist der Spuk dann endlich vorbei? Wohl eher nicht!
Das genaue Ausmaß der Folgen können wir noch nicht abschätzen. Sicher ist bereits, dass die Corona-Krise neue Fakten geschaffen und unantastbar geglaubte Strukturen zerschlagen hat. Diese neue Situation ist aber nicht NUR ein Rückschlag, sondern auch eine Chance, unsere eigenen Haltungen zu hinterfragen und zu innovieren.
Sicherlich, die meisten Herausforderungen im Retail- und Gastronomiesektor sind nicht über Nacht entstanden. Themen wie Home Delivery, der Ausbau des Online-Geschäfts und digitales Marketing beschäftigen uns schon seit Längerem. Aus diesem Grund mag es Stimmen geben, die sagen: „Das hätte man alles kommen sehen können!“ Die Frage ist dann aber: Wieso hat man nichts unternommen oder warum nur so halbherzig?
Meine kritische Hypothese hierzu: In Krisenzeiten verfallen wir allzu gerne in zwei extreme Verhaltensmuster. Entweder halten wir zwanghaft an Altbewährtem fest, aus Angst, mit neuen Ansätzen noch mehr Schaden anzurichten. Oder wir stürzen uns ins ungewisse Neuland und brechen mit allen alten Strukturen und Verfahren, die das Übel nicht abwenden konnten. Beide Verhaltensmuster sind auf ihre Weise destruktiv, irrational und aufeinander bezogen höchst widersprüchlich! Dennoch kennt jeder von uns die Erfahrung, dem ein oder anderen Extrem verfallen zu sein.
Transformation absolute Königsdisziplin – gerade in Krisenzeiten
Das Zauberwort dazwischen heißt Transformation und beschreibt den notwendigen Prozess bzw. das Bindeglied zwischen dem bewährten Alten und dem Erreichen des gewünschten Zielbildes. Wir vergessen nur zu schnell, dass Transformation die absolute Königsdisziplin ist und in der Regel nur gelingt, wenn man sie konsequent angeht und ebenso alle Leute in der Organisation und im Umfeld mitnimmt. Das gilt ausdrücklich auch in Krisenzeiten. Ich habe in der Krise viele Menschen erlebt, die diesen wichtigen Schritt einfach nicht mitgedacht haben und das fairerweise vorher auch nicht getan haben. Aus meiner Sicht haben hier viele bisher eine große Chance verpasst. Denn, wenn nicht jetzt, wann dann, müsste es Menschen klar sein, dass nachhaltige Veränderung jetzt überlebensnotwendig ist.
Wir alle kennen aber auch das Gefühl, wenn dann am Ende nichts zusammenpasst. Doch wieso passiert uns das immer wieder? Vielleicht wollen wir zu schnell zu viel. Das mag stimmen. Vielleicht müssen wir aber auch erst umdenken, bevor wir Neues denken? Und vielleicht reicht es dann manchmal schon aus, das Alte neu zu denken. Sokrates lehrt der Überlieferung nach: „Das Geheimnis der Veränderung ist, alle Energie nicht auf die Bekämpfung des Alten zu legen, sondern auf den Aufbau des Neuen.” Die Feinheit hier liegt im Wort Aufbau, was für mich ein permanenter Prozess ist, den ich auch als Transformation bezeichne.
In der Gastronomie gibt es großen Groll gegen die schwierigen aktuellen Bedingungen aber wenig Selbstkritik zur Frage, warum haben wir z. B. noch kein performantes Home-Delivery-System aufgesetzt, warum ist Click & Collect nicht am Markt eingeführt, wieso sind unsere Produkte und Verpackungen nur bedingt transportfähig und warum sind unsere digitalen Kundenbeziehungen nicht auf dem Stand von Amazon. Die Antwort ist aus meiner Sicht relativ einfach: Wir haben in der Vergangenheit den Veränderungsdruck nicht wirklich ernst genommen und das attestiere ich vielen Organisationen. Eine Form von Behäbigkeit.
Altes in Neues transformieren, ohne etwas zu zerstören – geht das?
Meiner Ansicht nach möchte Sokrates uns sagen, dass wir unsere Energie nicht im Kampf Alt gegen Neu, Vergangenheit versus Zukunft, Tradition versus Innovation verschwenden müssen. Er sagt uns: „Es ist okay so wie es war, doch das heißt nicht, dass es so bleiben muss.“ Damit befriedet er den gelebten Widerspruch, indem er uns klarmacht, dass wir gar nicht zwischen zwei Extremen wählen müssen. Wir müssen lediglich den Transformationsprozess dazwischen ganzheitlich angehen.
Das klingt gut, denn so lösen wir Spannungen und sparen Energie. Aber was können wir mit der eingesparten Energie anfangen? Wie lösen wir die Herausforderung, Altes in Neues zu transformieren, ohne dabei das Alte zu zerstören und dem Neuen sein Fundament zu entziehen? Die Antwort darauf steckt bereits in der Frage: indem wir Altes und Neues aufeinander beziehen und nicht künstlich voneinander trennen. Die Überleitung vom Alten zum Neuen ist die Führungs- und Management-Herausforderung des 21. Jahrhunderts und damit auch der Krise 2020.
Die größte Leadership-Herausforderung des 21. Jahrhunderts
In unserer sehr traditionellen Firma, der NORDSEE GmbH, die im nächsten Jahr 125 Jahre alt wird, steht Fisch an der ersten Stelle und der ist nicht digital. Die Fischgerichte sind eher (sehr) traditionell, der Erfolg vergangener Jahre war groß und es gibt keinen bisher wirklich übermächtigen nationalen oder internationalen Wettbewerber im Fischsegment. Die Gewerkschaften und Mitbestimmungsgremien halten sich an der vergangenen Zeit fest und das Gehalt kommt auch immer pünktlich. Wie soll es da gelingen, den Kopf zu öffnen für nachhaltige Veränderungen, für digitale Kundenbeziehungen, zu Innovationen und Wandel im Geschäftsmodell? Und hier liegt die große Leadership-Herausforderung im 21. Jahrhundert – wie legt man den Schalter einer ganzen Organisation um? Es beginnt im Kopf, wo der Veränderungsprozess startet und im konsequenten Handeln von Akteuren endet. An dieser Stelle empfehle ich, ohne weiter darauf einzugehen, die Beschäftigung mit dem „Golden Circle“ von Simon Sinek. Er beschreibt die „WHY“-zentrierte Denkweise erfolgreicher Organisationen.
Umdenken allein reicht nicht: Konsequente Aktionen müssen folgen
Und hier liegt schlussendlich die Crux, denn als Denker von Veränderungen aufzutreten ist das eine, als Akteur der Veränderung aufzutreten das andere. Vor ca. 25 Jahren hatte ich die Gelegenheit einem großartigen Vortrag auf dem Handelsforum von Prof. Tietz in Köln beizuwohnen. Der damalige Karstadt Warenhaus Vorstand Wolfgang Urban hielt einen für mich damals beeindruckenden Vortrag mit der Überschrift „Can Dinosaurs learn to fly“ und damit war Karstadt gemeint. Seine letzte Folie erinnere ich genau: „Yes Dinosaurs can learn to fly“. Wir alle kennen das ernüchternde Ergebnis – es gab nicht genug Akteure, dem Dinosaurier Karstadt das Fliegen beizubringen. Viele Veränderungen wurden avisiert, aber nicht wirklich umgesetzt. Dazu hätte es ein Umdenken aller Beteiligten benötigt, ein Umdenken im Kopf verbunden mit konsequenter Aktion.
Das Schicksal dieses großen Warenhauskonzerns sollte uns ein Mahnmal sein. Die stürmischen Zeiten haben wir seit langem, die Covid-19-Krise tritt als Beschleuniger auf. Nun ist es an uns, die bisher noch nicht konsequent genug angegangenen Veränderungen anzugehen. Wenn das alle Stakeholder als Mantra nehmen, haben Karstadt und auch andere Traditionsunternehmen eine Zukunft. Das ist sicher keine Utopie. Was meinen Sie?
Schreiben Sie mir, ich will es wirklich wissen!